Jedes Jahr werden in der Schweiz Zehntausende Pelze von erlegten Rotfüchsen verbrannt – weil sie niemand kauft. Der Pelzverarbeiter Thomas Aus der Au findet: Wer Fleisch isst, kann genauso gut Pelz tragen.
Der Beruf von Thomas Aus der Au könnte bald verschwinden. Aus der Au arbeitet als Kürschner. Ein Kürschner verarbeitet Tierfelle zu Kleidung: Er kauft Felle ein, beim Jäger, in einer Gerberei oder beim lokalen Fellhändler. Er schneidet, glättet, streckt die Pelze, weitet sie aus, näht sie zusammen. Thomas Aus der Au ist 64 Jahre alt, er geht bald in Pension.
Im Atelier von Thomas Aus der Au in Zürich-Wiedikon riecht es nach frischem Leder und Dachboden. Überall glänzt Rotfuchsfell. Es liegt als Silhouette auf einer langen Werkbank, lagert auf Tischen, hängt zu Mänteln verarbeitet an Bügeln von Kleiderstangen. Aus der Au hat jedes der Kleidungsstücke selber angefertigt. Er betreibt seine Kürschnerei in der dritten Generation.
Thomas Aus der Au setzt sich an seine Werkbank. Sein Hund, ein Alaskan-Husky-Mischling mit gelblich-weissem Fell, legt sich neben ihn. An einer Stange hängt ein Nerzmantel; er trägt dieselbe Farbe wie das Fell des Hundes. Aus der Au verkauft auch Pelze aus Nerz oder Polarfuchs, aber selten. Am meisten verkauft er Rotfuchsfell. Und diesen propagiert er. Warum?
Allein im vergangenen Jagdjahr wurden laut Bundesamt für Umwelt mehr als 22 000 Füchse zur Bestandeskontrolle erlegt. In den Jahren zuvor lag die Zahl oft bei über 30 000 Füchsen. Thomas Aus der Au schätzt, dass davon jährlich nur 2000 bis 4000 Felle an Kürschner verkauft werden, weil kaum Nachfrage besteht. Der Rest wird entsorgt, verbrannt. Bis zu 30 000 Rotfuchsfelle jährlich.
«Jeder getragene Fuchs ist Pelzwerbung»
Es sind Zahlen, die in der Debatte um das Pelztragen kaum je thematisiert werden. Seit Jahrzehnten wird die Diskussion von Tierschützern geprägt, die jegliche Art von Pelztragen ablehnen und regelmässig Protestaktionen veranstalten. Beim Zürcher Hiltl Club werden Pelzträger am Eingang abgewiesen, und vergangenes Jahr strich das Zürcher Warenhaus Jelmoli jegliches Pelzprodukt aus dem Sortiment – als Teil seiner Nachhaltigkeitsstrategie.
Und doch bleiben die Importzahlen von Pelz konstant hoch: Gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung wurden 2018 mehr als 380 Tonnen an Pelzwaren im Wert von über 40 Millionen Franken importiert – darunter ein Grossteil an Lamm- und Rindsfellen aus Südamerika und Südostasien, die nicht zu Kleidung verarbeitet werden. Die beliebten Pelzbesätze an Kapuzen, die oft von Kaninchen oder Marderhunden stammen, sind nicht einberechnet.
Ist es wirklich nachhaltig, einheimischen Pelz aus der Jagd zu verbrennen, während viel Pelz aus dem Ausland importiert wird, vornehmlich aus der Farmhaltung?
Helen Sandmeier vom Schweizer Tierschutz STS sagt: Wenn die Fuchsjagd zur Bestandesregulierung notwendig sei, sei es vertretbar, die heimischen Felle zu nutzen. Aber: «Jeder getragene Fuchspelz ist Werbung für das Pelztragen.» Und aus Sicht des Tierschutzes sei jegliches Tragen von Echtpelz «ein No-Go».
«Wer die Tiere nutzt, muss sie schützen»
Sandmeier bezeichnet das Fuchsfell aus inländischer Jagd als «Tropfen auf den heissen Stein» – verglichen mit «den 17 Millionen Füchsen, die weltweit jedes Jahr in Farmen gezüchtet und für die Pelzproduktion getötet würden. Die Zahlen, mit denen die Tierschützer hantieren, lassen sich kaum verifizieren. Auch weil die Dunkelziffer hoch ist. Der europäische Pelz-Dachverband Fur Europe schätzt, dass 2017 weltweit 12,7 Millionen Füchse für Pelzprodukte getötet wurden. Sandmeier sagt, dass der «absolut minimale Anteil» der heimischen Jagd nur beworben werde, um das Gewissen der Konsumenten zu beruhigen.
Kürschner Thomas Aus der Au sitzt an seinem Ateliertisch und schüttelt den Kopf. Er sagt: «Wenn ich Freilandeier kaufe, werbe ich damit auch nicht für Eier aus Legebatterien im Ausland.» Der Kunde habe die Wahl, ein ethisch vertretbares Produkt zu kaufen – auch beim Pelz.
Aus der Au hat zahlreiche Farmen in Dänemark und Norwegen besucht; von dort stammen die meisten seiner importierten Pelze. Es handle sich dabei um Nutztierhaltung, die mit der hiesigen Fleischproduktion zu vergleichen sei. «Würden die Tiere in schlechten Verhältnissen gehalten, sähe man das auch dem Fell an.» Prekäre Verhältnisse, wie sie im Internet auf Videos von Tierschützern zu sehen sind, hält er in Europa für «fernab der Realität». Aus der Au sagt, er könne Pelze aus europäischer Farmhaltung verantworten. Aber lieber bewerbe er das Nutzen von Tierfellen, die bei der Jagd anfielen und entsorgt würden, wenn sie niemand verarbeite.
«Kunstpelz? Es ist pervers, Ressourcen zu verbrauchen, um etwas synthetisch herzustellen, das aussieht wie ein Naturprodukt, das man verbrennt.»
Thomas Aus der Au, Kürschner
Der Tierschutz sei für Pelzverarbeiter unabdingbar, sagt der Kürschner. «Wer die Tiere nutzen will, muss sie auch schützen.» Pelz zu verteufeln und stattdessen Kunstpelz zu bewerben, könne nicht nachhaltig sein. «Es ist pervers, Ressourcen zu verbrauchen, um etwas synthetisch herzustellen, das aussieht wie ein Naturprodukt, das man verbrennt.» Seine Branche habe die Anti-Pelz-Haltung immer wieder zu spüren bekommen, besonders in den 1980er Jahren.
In diese Zeit fällt etwa die Gründung der Tierschutzorganisation Peta und Bewegungen wie «autonomer Tierschutz» oder «Tierbefreiungsfront». Damals habe man jedoch noch mit Gegnern diskutieren können, sagt Aus der Au, heute seien die Meinungen festgefahrener. Er würde sich einen sachlicheren Diskurs mit dem Schweizer Tierschutz wünschen.
Auch Vegetarier kauften bei ihm Pelz
Aus der Au zeigt in seinem Atelier auf ein abgezogenes Fuchsfell – eine Kunst, in der sich Jäger jahrelang üben. Er fährt mit der Hand über das Fell, erzählt von den Eigenheiten des Materials: Das Fell lässt sich mit Kürschner-Techniken in die Länge und in die Breite ziehen. «Die Fläche, um zu nähen, müssen wir uns erst erarbeiten.»
Die aufwendige Handarbeit hat ihren Preis: Eine Jacke aus Rotfuchs kostet bei ihm je nach Ausführung etwa 4500 Franken. Ein einfacher Pelzbesatz an der Kapuze, wie er oft getragen wird, gegen 350 Franken. Ein Pelzprodukt sei nicht per se ein Luxusgut, sagt Thomas Aus der Au, sondern etwas, wofür man sich bewusst entscheide. Fell wärme nicht nur wie kaum ein anderes Material, sagt der Kürschner: Ein Pelz-Kleidungsstück von guter Qualität halte vierzig bis fünfzig Jahre – und verbrauche beim Rotfuchs keine Ressourcen zur Herstellung.
Thomas Aus der Au hatte sogar Vegetarierinnen als Kundinnen. Eine von ihnen sei in ihrem Urlaub ob des vielen ungenutzten Pelzes der Kojoten in den USA entsetzt gewesen. Als sie erfahren habe, dass es dem Schweizer Rotfuchs ähnlich ergehe, habe sie einen Pelz gekauft. «Jeder zieht seine Grenze an einem anderen Ort», sagt Aus der Au. «Aber wer Fleisch isst, kann genauso gut einen Nerzmantel tragen – beides entstammt der Nutztierhaltung.»
Nebst dem Rotfuchs fallen in der Schweiz auch Steinmarder unter die Bestandesregulierung, in anderen Ländern zählen Waschbären, Bisamratten, Biberratten und Kojoten dazu. Auch bei diesen Tieren stellt sich die Frage: nutzen oder verbrennen?
Der Schweizerische Tierschutzverband empfiehlt, auf den Kauf solcher Felle zu verzichten. Die Herkunft sei meist ungeklärt. «Es fehlt eine Deklaration, aus der hervorgeht, ob die Tiere ein artgerechtes Leben führen konnten», sagt Helen Sandmeier. «Genau dafür gibt es doch lokale Kürschner», sagt Thomas Thomas Aus der Au. Er erteile stets ausführlich Auskunft über deren Herkunft.
Thomas Aus der Au bezeichnet sein Verhältnis zu Tieren als «ambivalent, wie wohl bei den meisten». Haustiere erachte er eher als Kuscheltiere, andere als Nutztiere. Als einer seiner beiden Hunde starb, stand er vor der Frage, das Fell zu behalten oder den Hund gänzlich einzuäschern. Er entschied sich fürs Einäschern. «Obwohl ich stets geglaubt hatte, das Fell als Erinnerung behalten zu wollen, ertrug ich den Gedanken nicht, dass an meinem Hund ‹herumgeschnippelt› wird.»about:blank
Manchmal trägt er privat einen Pelzmantel. Einmal wurde er im Berner Oberland für einen schwerreichen russischen Touristen gehalten. Doch es passiere selten, dass er angepöbelt werde. Pelz müsse eben selbstbewusst getragen werden, sagt Aus der Au.
Angst, dass sein Beruf ausstirbt? – «Und wie!»
Thomas Aus der Au erinnert sich gut daran, als er in jungen Jahren als Lehrling erstmals ein Fell zusammennähte. Wie er sich vorstellte, wie in diesem Fell einst ein Tier gelebt hatte. Er entschied sich damals bewusst für die Arbeit mit Pelz. Schliesslich, sagt er, «ass ich auch Fleisch und ging fischen».
Wer eines Tages sein Geschäft in Zürich-Wiedikon übernimmt, weiss Aus der Au nicht. Nachwuchs fehlt. Als er in den 1970er Jahren den Beruf erlernte, wurden allein in Zürich acht Personen ausgebildet. Vor eineinhalb Jahren hat er schweizweit die bisher letzte «Bekleidungsgestalterin Schwerpunkt Pelzbekleidung» ausgebildet. Der Kürschner hebt die Augenbrauen, wenn er die Bezeichnung ausspricht.
Kürschner wie Thomas Aus der Au gibt es nur noch wenige in der Schweiz. Er schätzt, dass es gegen 40 sind. Die meisten näherten sich dem Pensionsalter – wie er. Hat er Angst, sein Beruf könnte aussterben? «Und wie! Stirbt der Beruf, stirbt seine Berufsethik mit.» Damit drohe das Pelzgeschäft gänzlich jenen überlassen zu werden, die sich nicht um die Tiere scherten.
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